„Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen.“
Werner Schwab
Es war im Jahr 1986, als ich den Yppenplatz und das zugehörige Mietshaus in der Payergasse 12 das erste Mal aufsuchte. Die Seelenfalle war sofort zugeschnappt als ich das Gebäude betrat, und ich war ein Gefangener dieser besonderen Aura, welche mir hier von Haus und Platz unwiderstehlich vermittelt wurde. Vom Marktplatz aus betrachtet, steht es zwar, wie die meisten in der Gründerzeit gebauten Häuser, die den Yppenplatz umsäumen, ordentlich in Reih und Glied mit den anderen Gebäuden, ein Blick in das Innenleben dieses Hauses zeigt aber sofort, dass dies nur auf die platzseitige Fassade zutrifft.
Da es ursprünglich im Jahr 1886 als Schuhhaus geplant war, zur Herstellung und zum Verkauf von Schuhen, und erst zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Mietshaus umgebaut worden war, besteigt man dieses Haus durch einen breiten, hellen Stiegenaufgang, der bis zum dritten Stock mit Hilfe von sehr großen Fenstern angenehm erhellt wird. Auch der für Basenah-Häuser typischen Ganggeruch, hervorgerufen durch Gemeinschaftstoiletten und abgestandenes Basenahwasser war in der Payergasse 12 nicht vorhanden, da man Toiletten und Wasseranschlüsse in das Innere der Wohnungen verlegt hatte.
Es war ein Haus mit hundertjähriger Vergangenheit und ich fühlte diese vorhin genannte Aura, die von diesen Ziegelwänden ausgehender Besitz von mir ergriff. Ich saß in der Seelenfalle gefangen, und als Lockköder hatte dieses Haus seine Aura ausgelegt.
Als ich dann einige Jahre später den Schwerpunkt meines Lebens hier an den Yppenplatz verlegte und mein damaliger Grazer Freund, der Dramatiker Werner Schwab, auch hier in dieses Haus eindrang, wurde eine neue Ära eingeleitet und aus dem verschlafenen, bürgerlichen Markplatzhaus wurde plötzlich ein lebendig-berüchtigtes Haus mit Geist, Seele und Kreativität.
Werner Schwab schrieb meist in der Nacht, und seine Gefühlseruptionen wurden vom Geklapper der Schreibmaschine sowie von lauter Heavy-Metal-Musik begleitet, welche die Ziegelwände des alten Mietshauses und seine Bewohner in Schwingung versetzte und ihnen so Zeit, Raum und Vergänglichkeit vor Augen führte.
Aber nicht nur die Dramen Werner Schwabs nahmen hier Form und Gestalt an, auch andere Künstler wie Helmut Schödel (Schriftsteller, Journalist), Luigi Forte (Prof. der Literatur), Klaus Kofler (Komponist, Musiker), Günter Schimunek (Maler), Norbert Prettenthaler (Filmemacher und Drehbuchautor), u.v.a. verlagerten und verlagern im Sog dieses großgeistigen Sprachgenies ihre kreativen Tätigkeiten in dieses „Haus der brennenden Seelen“ nach Ottakring.
Bernd Höfer